Whatever Shall Be. Music for Toy Instruments and Electronics

Von Dirk Wieschollek

Neue Zeitschrift für Musik 02/2014 (Schott: Mainz 2014) 

Seit John Cages Suite for Toy Piano ist das als Miniaturklavier verkleidete Glockenspiel zweifellos zum beliebtesten Spielzeuginstrument der Gegenwartsmusik avanciert. Neben Margaret Leng Tan widmet sich vor allem die österreichische Pianistin Isabel Ettenauer intensiv dem den Kinderschuhen längst entwachsenen Instrument. Einer der letzten Komponisten, den sie mit dem Toy-Piano-Virus infizierte, ist Karlheinz Essl. Fasziniert von der «Unschuld» einer Materie, die nicht die ganze abendländische Musiktradition mit sich herumschleppe wie das gewöhnliche Klavier, schreibt Essl seit einigen Jahren regelmäßig Stücke für Toy Piano. Den eher eingeschränkten klanglichen Gegebenheiten arbeitet er gezielt mit elektronischen Transformationen und Erweiterungen entgegen, die das Spielzeuginstrument zum Ausgangspunkt und Bestandteil mehr­dimensionaler Klangräume werden lassen. Die Software für seine Echtzeit-Manipulationen hat Essl gleich selbst geschrieben.

In Kalimba (2005) ist die elektronische Ebene per Mini-Lautsprecher im Instrument selber versteckt, sodass Livespiel und «playback» scheinbar derselben Quelle entspringen. Chromatische und diatonische Skalen werden hier hypnotisch in- und übereinandergeblendet, beschleunigt, verlangsamt, verdichtet und ausgedünnt. In Anlehnung an Berios Sequenzas lotet Essl in der Sequitur-Reihe die Ausdrucksmöglichkeiten verschiedener Soloinstrumente aus. Seine Liebe zum melodieträchtigen Metallspielzeug macht dabei beim Toy Piano nicht halt: In Sequitur XIV (2009) ist es – was Essls erstes Toy-Piano-Stück quasi ankündigte – eine Kalimba, die hier, verwickelt in komplexe kanonische Bewegungen und digitale Real-Time-Prozesse, teils in völlige Geräuschhaftigkeit aufgelöst ist; in Pandora’s Revelation (2009/13) ist eine Spieluhr Grundlage der konzentriert-minimalistischen Hybris. Das Schöne an diesen Stücken ist, dass Essl bei aller Auflösung und Entgrenzung der traditionellen instrumentalen Oberflächen immer wieder zum natürlichen Charme des Ausgangsmediums zurückkehrt.

Diese gelungenen Symbiosen von instrumentalem «Low  Tech» und digitaler Transformation erreichen ihren Höhepunkt im titelgebenden what­ever shall be für Spielzeugklavier, Kreisel, Spieluhr und Live-Elektronik (2010). Da rotieren Kreisel im Innern des «Klaviers», werden per Fingerhut Glissandi auf den Metallstäben fabriziert und überhaupt der gesamte Korpus perkussiv einbezogen, bevor am Ende die Spieluhr Que sera, sera anstimmt: Alles Vorige war nämlich bis zur Un­kenntlichkeit extrahiertes Material des Filmmusikklassikers …

Es darf hervorgehoben werden, dass Isabel Ettenauer auch das digitale «Spielzeug» perfekt beherrscht, also auch die Live-Elektronik größtenteils selbst bedient – und so zu einer wirklich verinnerlichten Poesie findet …

 

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